04 Apr Im Zenit des Lebens – das 30/30/30-Modell als Orientierungshilfe für eine weniger kurzsichtige Personalpolitik
Ein Beitrag von Armin Haas, www.haas-advisory.ch
Ein ehemaliger Arbeitskollege von mir hat gerade eine für mich schier unglaubliche Erfahrung gemacht: Er war 1½ Jahre auf Stellensuche und hat jetzt gerade unterschrieben bei einem neuen Arbeitgeber. Vorher war er 15 Jahre erfolgreich als CFO bei einem Unternehmen tätig. Dieses wurde verkauft und seine Funktion wurde nach der Integration obsolet. Er geht gegen Mitte fünfzig, top qualifiziert, Hochschulabschluss, eidg. dipl. Wirtschaftsprüfer, er spricht und schreibt vier Sprachen fliessend, guter, sympathischer Auftritt, top Referenzen, einwandfreies Bewerbungsdossier. Er hat über 170 massgeschneiderte Bewerbungen rausgelassen und kam zu 8 Bewerbungsgesprächen (acht….!). Er hat regelmässig gehört, er sei „überqualifiziert“ (sprich zu alt) und/oder dass er nicht genau die richtige Branchenerfahrung mitbringe. Zudem nahm ihm kaum jemand ab, dass er bereit sei, auch für weniger Geld zu arbeiten als beim letzten Arbeitgeber. Meine Diagnose: Tendenziell schwachsinnige und in jedem Fall sehr kurzsichtige Personalpolitik.
Je älter ich selbst werde, desto mehr ist es mir ein Rätsel, warum die menschliche Leistungsfähigkeit im reiferen Alter weniger Anerkennung geniessen soll. Aus humanistischer Sicht ist das fragwürdig. Aus neurobiologischer Sicht gilt es als erwiesen, dass unser plastisches Hirn bis ins hohe Alter lernfähig bleiben kann. Und aus unternehmerischer Sicht können wir uns das Abwerten der erfahreneren, älteren Mitarbeitenden je länger desto weniger leisten.
Es braucht also ein neues Drehbuch für die Lebensgestaltung, eine revidierte Einstellung in unseren Köpfen. Die heutigen Lebensentwürfe orientieren sich immer mehr an einem 30/30/30-Modell: Das Leben aufgeteilt in drei grosse Lebensspannen. Die ersten 30 Jahre dienen primär dem formalen Lernen, dem Aufbau unseres Wissens, der Entwicklung der sozialen Persönlichkeit, der beruflichen Sozialisierung, dem Erwachsenwerden und dem Ausprobieren. Die berufliche Laufbahn wird lanciert. Das zweite Drittel – also zwischen 30 und 60 Jahren – steht im Zeichen des beruflichen Zenits, der Reifung, der Familienphase und der Laufbahngestaltung. Und die letzten 30 Jahre dienen dem Ernten, der Entschleunigung, der reflektierten Lebensführung mit grosser zeitlicher und inhaltlicher Autonomie.
Menschen zwischen 50 und 60 stehen also ganz im Zenit ihres Lebens, haben schon einiges gesehen im Beruf und in der Arbeitswelt, strahlen eine souveräne Seniorität aus, kennen sich selbst ziemlich gut und verfügen über viel Energie und praktische Intelligenz. Gerade Menschen über 50 haben in der Regel ihre „Hörner abgestossen“, wollen häufig keine „Karriere“ im engeren Sinn mehr machen sondern sind daran interessiert, inhaltlich spannende und sinnvolle Arbeit zu leisten. Entsprechend sollte man meinen, dass gut qualifizierte Mitarbeitende mit 50+ über eine überdurchschnittliche Arbeitsmarktfähigkeit verfügen, welche im Zeichen der demografischen Entwicklung noch weiter zunehmen wird. Wir sind noch nicht da… Aber wir werden dorthin kommen, spätestens wenn den Personalabteilungen die guten Bewerbungen von unter 50-jährigen ausgehen und es den Linienvorgesetzten dämmert, welches Potenzial sie auslassen, wenn sie weiter ihre Stellen- und Anforderungsprofile so extrem eng abstecken…
Aus meiner Sicht wird sich in den nächsten 10 Jahren kaum ein Aspekt der Personalpolitik stärker verändern als der Umgang mit älteren Mitarbeitern. Schon in wenigen Jahren wird es keine Frage mehr sein, dass Arbeitnehmer bis weit ins sechste Lebensjahrzehnt geschult und weitergebildet werden – in vielen Fällen selbstgesteuertes Erwachsenenlernen, keine formalen Diplome mehr, angepasst an das zweite Drittel des 30/30/30-Lebensmodells. In den Unternehmen werden 3-Generationen-Teams die Norm sein – und vor allem auch die erfolgreichsten.
Bildquelle: Armin Haas, Baum im Jura, Chaux d‘Abel